Ein zweiter Tenor ist nicht ein purer Tenor, der lebenslang darunter leidet, daß er unter dem ersten singt. Sein höchst notwendiges, edles musikalisches Wesen treibt er vornehmlich in Männerchören. Die naturgegebene Charakterisierung in Tenor, Bariton und Bass ist logischerweise nicht in Vierstimmigkeit umzusetzen. Dies aber wird im Männerchor gefordert, gewünscht, gepriesen. So ist der zweite Tenor eine Art Plombe im Gebiß. Goldplombe. Hinter den strahlenden, schneeweiß bebürsteten Schneidezähnen der 1. Tenöre verbirgt er sich als unsichtbare, aber lebensnotwendig beißfähige Gesangsstütze. Zweite Tenöre sind in der Regel auch noch musikalischer als erste. Nur ihre Strahlkraft ist beschränkter. Menschlich nicht ganz einfach zu behandeln, aber willig, auch dickste Bretter zu durchbohren.
von Franz R. Miller / Tomus Verlag